Eine intrazerebrale Blutung gilt als schwerwiegender medizinischer Notfall. Denn die Hirnblutung entsteht durch den spontanen Riss einer kleinen Arterie im Gehirn und die Blutung wird mit der Zeit größer. Obwohl eine solche Hirnblutung nur für 15 bis 20 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich ist, ist sie mit einer Sterblichkeitsrate von etwa 30 Prozent die bei weitem tödlichste und zu Behinderungen führende Form des Schlaganfalls. Ein internationales Konsortium von Schlaganfallexperten, unter ihnen Prof. Dr. Thorsten Steiner, Chefarzt der Klinik für Neurologie am varisano Klinikum Frankfurt Höchst und Vorsitzender des Komitees zur Behandlung intrazerebraler Blutungen der Europäischen Schlaganfallorganisation (ESO), fordert nun strengere Standards für die Notfallbehandlung.
Ihre kürzlich in einem europäischen und einem nordamerikanischen Fachjournal veröffentlichten Aufrufe mit dem Titel „Code ICH: A Call to Action“ gibt einen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Wirksamkeit verschiedener Strategien zur Behandlung von Hirnblutungen unterstützen.
Während für die Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls, der durch den Verschluss einer Arterie verursacht wird, weltweit ein hochgradig standardisierter und optimierter Arbeitsablauf eingeführt wurde, sind solche zeitbasierten Notfallprotokolle für die Hirnblutung nicht weit verbreitet. Das internationale Konsortium von Ärzten drängt nun darauf, dies zu ändern.
„Bei der Behandlung des ischämischen Schlaganfalls geht es darum, den Blutfluss so schnell wie möglich mit gerinnungshemmenden Medikamenten oder Kathetern, die das Gerinnsel entfernen können, wiederherzustellen“, erklärt Thorsten Steiner die aktuelle medizinische Leitlinie. Schlaganfallzentren verwenden hierfür standardisierte Protokolle. Sie müssen berichten, wie viele Patienten eine Reperfusionstherapie zur Wiederherstellung des Blutflusses erhalten, wie schnell sie verabreicht wird und wie oft sie erfolgreich ist.
Bei Hirnblutungen hingegen werden solche Qualitätsmaßnahmen bisher nicht standardisiert angewendet. Um diese Diskrepanz zu korrigieren, hat das internationale Gremium klinischer Forscher in den Fachzeitschriften „Stroke“ und „European Stroke Journal“ eine Konsenserklärung veröffentlicht, in der sie sich für sofortige Veränderungen aussprechen.
Dazu gehören – sofern indiziert – die Senkung des erhöhten Blutdrucks, die Normalisierung einer Therapie mit Blutverdünner, die Behandlung von Hirnschwellungen und die neurochirurgische Entfernung von Hirnblutungen. Basierend auf den aktuellen Erkenntnissen plädieren sie für die sofortige und flächendeckende Einführung eines Behandlungspakets, das das Senken des Blutdrucks und die Umkehr der Wirkung von Blutverdünnern innerhalb einer Stunde nach Ankunft im Krankenhaus beinhaltet.
„Neurologen zitieren in der Regel den Satz ‚Zeit ist Gehirn‘, um die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wie wichtig schnelles Handeln ist, wenn der Verdacht auf einen Schlaganfall besteht“, meint Dr. Stephan A. Mayer, Professor für Neurologie und Neurochirurgie am New York Medical College und Co-Senior-Autor der Studie. „Tatsache ist, dass dieser Grundsatz ungleich angewandt wird. Krankenhäuser sind verpflichtet, ischämische Schlaganfälle dringend zu behandeln und über ihre Leistung zu berichten, Sie sind aber nicht verpflichtet, dasselbe für die Behandlung intrazerebraler Hirnblutungen zu tun, auch wenn es sich hierbei um eine tödlichere Krankheit handelt. Dies muss sich ändern.“
Die Autorengruppe umfasst 18 Experten aus den USA, Australien, China, Deutschland, Kanada, Italien und Großbritannien. red